Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben, und sie wird die Arbeitsweise in der Technischen Kommunikation grundlegend verändern. Auch etablierte Softwarelösungen sind davon betroffen. Fachkräfte stellen sich daher eine zentrale Frage: Welche Rolle spielen Component-Content-Management-Systeme (CCMS) in einer KI-geprägten Zukunft? Das Problem: Fundierte Antworten sind rar. Pauschale Prognosen greifen zu kurz. Die Entwicklung verläuft rasant, Experten diskutieren verschiedene Szenarien, und sobald ein klares Bild entsteht, verwischt es durch neue Möglichkeiten. Es ist wie ein Kaleidoskop. Bei jeder Drehung entstehen neue Muster. Hinzu kommt: KI verändert nicht nur die Technische Dokumentation allein, sondern wirkt sich auf das gesamte Industrieunternehmen aus. Trotz dieser Komplexität vertrete ich eine klare These: KI wird die Branche transformieren, aber modulares Content Management bleibt relevant
Der bisherige Nutzen von CCMS
Wer heute einen Blick in die Arbeitsrealität Technischer Redakteure wirft, macht eine bemerkenswerte Beobachtung: Sie verbringen deutlich mehr Zeit mit der Verwaltung von Content als mit dessen Erstellung. Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines bewussten strategischen Wandels. Modularisierung und systematische Wiederverwendung haben einen klaren Vorteil. Sie reduzieren langfristig und erheblich die Kosten, sowohl bei Erstellung als auch bei Wartung, Aktualisierungen und Übersetzungen. Was auf den ersten Blick nach zusätzlichem Aufwand aussieht, entpuppt sich als hocheffiziente Investition in die Zukunft. Genau diese Effizienz bildet das Fundament der gesamten CCMS-Wertschöpfung. Die bewährte Kosten-Nutzen-Rechnung hinter dieser Arbeitsweise ist klar: Einmal strukturiert erfasste Module lassen sich beliebig oft wiederverwenden, zielgerichtet aktualisieren und konsistent in verschiedene Ausgabeformate überführen. Hinzu kommen transparente Änderungsverfolgung sowie die Möglichkeit gezielter Qualitätskontrolle. Diese Vorteile sind gerade in unserer regulierten Branche unverzichtbar. Redaktionssysteme haben sich deshalb nicht trotz, sondern wegen ihrer strukturellen Komplexität durchgesetzt: Sie lösen reale Probleme der industriellen Content-Produktion, die mit dokumentenbasierten Workflows schlichtweg nicht zu bewältigen wären.
Wenn Content (fast) kostenlos entsteht
Doch was passiert, wenn KI diese fundamentale Gleichung durcheinanderbringt? Stellen wir uns ein durchaus realistisches Szenario vor: KI-gestützte Content-Erstellung und maschinelle Übersetzung entwickeln sich so rasant, dass die Kosten für beide Bereiche gegen null tendieren. Diese Entwicklung würde die Kosten-Nutzen-Rechnung von CCMS-Investitionen grundlegend verändern. Plötzlich könnte KI die mächtige CCMS-Infrastruktur ignorieren und zu klassischen dokumentenbasierten Workflows zurückkehren, die der CCMS-Ära vorausgingen: Hauptdokument erstellen menschliche Prüfung → Variante durch Kopieren und Modifizieren erzeugen → erneute menschliche Prüfung → nächste Variante durch Kopieren und Modifizieren erzeugen … Dieses Szenario besitzt beeindruckendes Potenzial. Selbst Unternehmen mit tausenden Varianten einer Betriebsanleitung könnten theoretisch zum dokumentenbasierten Ansatz zurückkehren, wenn KI die repetitive Arbeit des Kopierens, Modifizierens und der Konsistenzwahrung übernimmt. Die entscheidende Frage lautet: Braucht KI tatsächlich all die Funktionalitäten, die wir für Menschen in Redaktionssystemen entwickelt haben? In bestimmten Szenarien komme ich zu einem ernüchternden Schluss: Möglicherweise kommt die KI ohne ein Redaktionssystem aus, zumindest ohne die Form, wie wir sie bisher kennen.
Warum Kontrolle nötig ist
Doch an dieser Stelle ist dieser Artikel noch nicht zu Ende. Denn das skizzierte Szenario geht von einer fehlerfreien KI aus – eine Annahme, die der Realität nicht standhält. Generative KI produziert Fehler und wird dies auch künftig tun. In sicherheits- und haftungsrelevanten Umgebungen wie der Technischen Dokumentation bleibt menschliche Kontrolle daher unverzichtbar, selbst in optimistischen Zukunftsszenarien. Die entscheidende Frage lautet: Wie prüft man effizient die Arbeit der KI, ohne dass der menschliche Reviewer zum Hamster im Laufrad wird, der endlos Output um Output kontrolliert?
Das eigentliche Problem liegt in der Funktionsweise generativer KI: Sie arbeitet als Blackbox. Änderungen zu kontrollieren, ist relativ einfach. Ich erkenne, was die KI geändert hat, und kann beurteilen, ob das korrekt ist. Doch die wahre Herausforderung besteht darin, zu identifizieren, was die KI übersehen hat.
Niemand versteht wirklich, wie generative KI ihre Entscheidungen trifft. Auf Nachfragen liefert sie eloquente Begründungen. Doch das sind Postrationalisierungen, nicht die tatsächliche Entscheidungslogik. Das kennen wir von Freunden, die ihre Black-Friday-Impulskäufe zu erklären versuchen. Die wahren Gründe bleiben verborgen. In der Praxis bedeutet das: Wir können sehen, was sich geändert hat, aber nicht systematisch, was sich hätte ändern sollen.
Diese Intransparenz schafft ein Kontrollproblem: In dokumentenbasierten Workflows müssen wir alles lesen, um auch Auslassungen zu entdecken. Fachkräfte ertrinken in Prüfaufgaben, ohne die Möglichkeit systematischer Eingrenzung.
Struktur bringt Kontrolle
Genau hier zeigt sich der entscheidende Vorteil von CCMS: Durch Modularisierung werden die Regeln für die Variantenerstellung explizit. Je nach Arbeitsweise entstehen dabei ausgefeilte Logiken, die transparent nachvollziehbar sind. Diese explizite Logik ermöglicht es, gezielt einzugrenzen, welche Teile der Technischen Dokumentation von einer Änderung betroffen sind. Wiederverwendungen zeigen Abhängigkeiten auf, Verlinkungen schaffen Zusammenhänge. Metadaten und Knowledge Graphen ermöglichen intelligente Filterung. Das Ergebnis: Technische Redakteure müssen nur spezifische Inhalte ändern oder im Vier-Augen-Prinzip prüfen. Sie können klar eingrenzen, welche Module die KI auslassen kann, weil diese mit dem jeweiligen Thema nichts zu tun haben.
Diese strukturierte Herangehensweise löst das Blackbox-Problem der KI: Das CCMS teilt der KI mit, welche Module sie nicht bearbeiten muss. Gleichzeitig begrenzt es den Prüfaufwand und lenkt die Aufmerksamkeit dorthin, wo tatsächlich Änderungen zu erwarten sind oder kritische Auslassungen auftreten könnten. Ohne ein solches System wird die Qualitätssicherung zum Albtraum, weil der Technische Redakteur als „Human in the Loop“ der KI nicht mehr hinterherkommt. Mit CCMS hingegen wird der Review-Prozess beherrschbar.
Diese Erkenntnis führt zu einem wichtigen Schluss: Die KI wird ebenfalls Redaktionssysteme brauchen – nicht für sich selbst, sondern für die Menschen, die ihre Arbeit überprüfen müssen. Es geht um Transparenz, Nachvollziehbarkeit und die Fähigkeit zu verstehen, was passiert – und noch wichtiger: Was nicht passiert, aber hätte passieren sollen.
KI und CCMS als Team
CCMS bleiben unverzichtbar, weil der effizienteste Weg zur Erstellung Technischer Dokumentation über klassifizierte Module führt – mit oder ohne KI. Das bedeutet aber nicht, dass KI keine Auswirkung auf Redaktionssysteme hat. Im Gegenteil: Die Zukunft liegt in einer intelligenten Partnerschaft.
Stellen Sie sich das wie beim autonomen Fahren vor. Das Auto wird nicht ersetzt, aber Sie steuern es nicht mehr selbst. Sie geben nur noch das Ziel vor. KI und CCMS erreichen es durch koordinierte Zusammenarbeit. Dank der Strukturen im CCMS minimieren Sie gleichzeitig den Prüfaufwand in Quell- und Zielsprachen. Es geht nicht darum, KI einfach auf Content-Probleme zu werfen. Vielmehr ist es das Ziel, eine Infrastruktur zu schaffen, die es der Technischen Redaktion ermöglicht, hochwertigen Inhalt in großen Mengen zu liefern.
Diese Vision verändert die Systemarchitektur von Redaktionssystemen grundlegend. KI steuert das CCMS nicht über Maus und Tastatur. Das wäre wie ein Roboter, der das Lenkrad bedient. Stattdessen lässt sich ein CCMS über Programmierschnittstellen (APIs) intelligent fernsteuern – ähnlich dem autonomen Auto mit völlig neuer Steuerungslogik. Die Zukunft gehört spezialisierten KI-Agenten: Einzelne Agenten übernehmen Teilaufgaben. Zielerreichungsmetriken steuern sie. Ergebnisse müssen nicht nach jedem Bearbeitungsschritt geprüft werden, sondern erst, wenn der Agent sein Ziel erreicht oder sich festgebissen hat.
Die Transformation verändert aber nicht nur die Schnittstellen zum Redaktionssystem, sondern fundamental die Arbeitsweise. Gerade erleben wir eine Verlagerung von der Inhaltserstellung zur Inhaltsüberprüfung. Technische Redakteure schreiben weniger selbst. Dafür prüfen und optimieren sie umso mehr KI-generierten Inhalt.
Parallel dazu wandelt sich Content Management zum Content Structure Audit: Es geht nicht mehr primär darum, Inhalte zu verwalten, sondern die Strukturen und Automatismen des Systems zu überwachen und zu auditieren. Wie autonome Autos das Lenkrad für Notfälle behalten, brauchen KI-fokussierte Redaktionssysteme weiterhin gute Bedienbarkeit für manuelle Eingriffe. Aber die Kernkompetenz liegt künftig im intelligenten Überwachen und gezielten Korrigieren, nicht mehr im ursprünglichen Erstellen.
Wie Integration gelingen kann
Die Integration von KI in Redaktionssysteme funktioniert nur, wenn wir unsere Prozesse grundlegend überdenken. Wir stehen vor einer ähnlichen Umwälzung wie bei der Einführung der Modularisierung. Damals führte der Wechsel von dokumentzentrierten zu modularisierten Ansätzen zu intensiven Diskussionen. Erfahrene Fachkräfte argumentierten, dass Modularisierung alles komplizierter mache und keinen echten Vorteil bringe. Heute können wir uns Technische Dokumentation ohne Modularisierung nicht mehr vorstellen. Eine erfolgreiche KI-Integration wird eine ähnliche Transformation auslösen.
Die neue Arbeitsweise erfordert fundamentales Umdenken. Redakteure lernen, welche Anleitung eine KI benötigt, wie sie zu steuern ist und wie wir Ergebnisse bewerten, ohne in Perfektionismus zu verfallen. Qualitätsmaßstäbe müssen formalisiert werden, um KI-Ergebnisse zunehmend automatisch bewerten zu können.
Folgende Kernaufgaben charakterisieren die neue Arbeitsweise:
- Anleitung entwickeln – einen Redaktionsleitfaden für KI-Assistenten erstellen und kontinuierlich optimieren
- Prozesse begleiten – sicherstellen, dass die KI alle notwendigen Informationen erhält
- Qualität sichern – KI-Ergebnisse prüfen und bei unzureichender Qualität korrigieren
- Probleme lösen – Troubleshooting bei allen KI-Themen, die nicht nach Plan laufen
- Systeme optimieren – die verschiedenen Teile des Agenten-Systems im konkreten Unternehmensumfeld abstimmen
Ähnliche Konzepte diskutiert die Übersetzungsbranche bereits unter dem Begriff „LangOps“ (Language Operations). Diese Branche erlebte die KI-Disruption bereits vor einigen Jahren. Daher lohnt es sich, von ihren Erfahrungen zu lernen.
Ein langer Wandel
Wer realistische Zukunftsszenarien entwickeln will, muss die Trägheit industrieller Veränderungen berücksichtigen. Wir Menschen überschätzen kurzfristige Entwicklungen, während wir langfristige Umwälzungen unterschätzen. Fünf Jahre reichen nicht aus, um redaktionelle Prozesse für den skizzierten KI-Einsatz umzugestalten und die notwendigen Werkzeuge für neue Arbeitsweisen bereitzustellen. Realistischer ist ein Zeithorizont von zehn Jahren. In dieser Spanne wird sich die Arbeitsweise Technischer Redakteure ähnlich fundamental verändern wie die der Übersetzer in den vergangenen zehn Jahren. Kompetenzen, die heute zentral sind, verlieren an Bedeutung, während völlig neue Fähigkeiten in den Vordergrund rücken.
Ein wichtiger Stabilitätsfaktor bleibt der Rechtsrahmen. Technische Kommunikation mag im Unternehmen nicht immer den gewünschten Stellenwert haben, aber aus rechtlichen Gründen bleibt sie unverzichtbar. Normative Vorgaben ändern sich noch langsamer als Unternehmensprozesse. Die kommende Maschinenverordnung begleitet uns vermutlich die nächsten zehn Jahre. Damit bleibt auch die Pflicht zur Bereitstellung klassischer Dokumentation bestehen. Der Gesetzgeber wird weiterhin auf eine offizielle, versionierte Informationsquelle bestehen, unabhängig davon, was ein Chatbot dem Anwender erzählt. Doch dieser rechtliche Schutz sollte niemanden in falscher Sicherheit wiegen: Kunden werden moderne KI-Assistenz erwarten und sie einfordern. Der Komfortunterschied zwischen Technischer Dokumentation durchsuchen und direkter Antwort durch einen Chatbot ist so fundamental, dass Maschinenhersteller ohne KI-gestützte Dokumentation künftig einen klaren Wettbewerbsnachteil haben werden.
Pragmatisch starten
Wie bereiten Sie sich am besten auf diese neue Ära der Technischen Dokumentation vor? Die größte Hürde ist oft nicht die Technologie selbst, sondern der Mythos von der perfekten KI-Lösung, die alle Probleme auf einmal löst. Statt auf diese Fata Morgana zu warten, sollten Sie mit einer gesunden Prise Pragmatismus aktiv werden.
Viele verschanzen sich hinter scheinbar unüberwindbaren Barrieren wie Datenschutz und ethischen Bedenken. Klopfen Sie stattdessen beim Datenschutzbeauftragten oder der IT an. Fragen Sie: Wie können wir das trotzdem umsetzen? Wie viel Schutzbedürfnis haben wir wirklich für Technische Dokumentation, die wir ohnehin veröffentlichen? Gehen Sie diese Hürden mit dem Ziel an, einen Weg zu finden.
Beginnen Sie zu experimentieren. Nutzen Sie verfügbare KI-Tools für erste Erfahrungen. Ein kleines, überschaubares Experiment liefert mehr wertvolle Erkenntnisse als monatelanges Tüfteln am ultimativen KI-Test.
Parallel dazu starten Sie mit den strategischen Grundlagen: Definieren Sie klare Qualitätskriterien für Ihre Inhalte. Was braucht es, damit ein Inhalt freigegeben werden kann? Sie müssen transparenter machen, was Sie für gut und richtig halten – und was nicht ausreicht.
Fokussieren Sie sich neu: Perfektionieren Sie keine Aufgaben, die automatisiert werden. Vertiefen Sie stattdessen die Fähigkeiten, die sich nicht automatisieren lassen. Konzentrieren Sie sich auf Inhaltsstrategie, Prozesssteuerung und Qualitätssicherung statt auf die Mechanik der Inhaltserstellung.
Bereiten Sie sich darauf vor, zum Projektmanager Technischer Kommunikation zu werden. Ihre Rolle entwickelt sich vom Inhaltsspezialisten zum Prozess-Spezialisten. Sie stellen alle Ressourcen bereit, integrieren KI-Mensch-Arbeitsabläufe und managen Ausnahmen, wenn die Automatisierung versagt.
Transformation mit Plan
KI ist gekommen, um zu bleiben. Aber Technische Redakteure und Redaktionssysteme haben in Zukunft weiterhin wesentliche Aufgaben. KI macht modulares Content Management nicht überflüssig. Im Gegenteil: Sie verstärkt dessen Wertschöpfung. Zwar werden Inhalte von KI zunehmend zufriedenstellend erstellt und überarbeitet, doch ihre Funktionsweise als Blackbox schafft ein Kontrollproblem. Nur explizite Logik und nachvollziehbare Änderungsverfolgung können diese Lücke schließen. Modulares Content Management bleibt daher der effizienteste Ansatz für skalierbare Technische Dokumentation.
Aber die Arbeitsweisen ändern sich – für Redaktionssysteme und Redakteure gleichermaßen. Während das Redaktionssystem zu einer Infrastruktur für KI-Agenten wird, wandelt sich die Tätigkeit des Redakteurs zum Prozess-Lotsen. Er setzt die Rahmenbedingungen, aber er stellt auch sicher, dass am Ende weiterhin vertrauenswürdige Inhalte entstehen.

