Manche Geschichten sind voller Missverständnisse. Und mir scheint es so, dass bei uns in der Technischen Kommunikation die Geschichte mit den Warnhinweisen eine solche ist (Abb. 01). Warum sonst wähnen sich heute immer noch viele Redaktionen buchstäblich dazu gezwungen, ihre Anleitungen großzügig mit auffälligen Warnhinweisen in Kastenform zu bestücken? Allen schriftlich fixierten Leitlinien und seriöser Fachliteratur zum Trotz? Entgegen den Ergebnissen unzähliger Fachveranstaltungen auf tekom-Tagungen und in Regionalgruppen?
Weil es so viele hartnäckige Missverständnisse gibt, möchte ich hier mit ihnen aufräumen. Was konkret lässt Technische Redaktionen denken, dass auffällig formatierte Warnhinweise die einzige Möglichkeit seien, Sicherheitsinformationen in Anleitungen zu platzieren? Dazu habe ich in meinen Jahren in der Beratung einiges an Material gesammelt. Ich schreibe in der Hoffnung, dass es mir gelingt, diese Missverständnisse deutlich als solche zu entlarven. Und hoffentlich so deutlich, dass wirklich jede Redaktion mit gutem Gewissen die daraus gewucherten alten Zöpfe mutig abschneidet.
Abb. 01 Ein typischer Warnhinweis basierend auf dem so genannten SAFE-Prinzip. Quelle Johannes Dreikorn
Wovon wir reden
In Ausgabe 03/22 der Fachzeitschrift ‚technische kommunikation‘ habe ich das Phänomen und die Folgen recht ausführlich beschrieben. [1] In unserer Branche spricht man in diesem Zusammenhang auch von „Overwarning“ oder „Warning pollution“, also von einer Überfrachtung von Anleitungen mit Warnhinweisen. Das Problem sind nicht einzelne Warnhinweise, die bewusst und nach einem festen Konzept gesetzt werden. Problematisch ist die Reihung von Warnhinweisen, die falsche Platzierung oder die dauernde Unterbrechung, etwa von Handlungsanweisungen durch Warnhinweise (Abb. 02).
Auf diese Weise falsch eingesetzt, haben Warnhinweise das Potenzial, Anleitungen komplett unverständlich zu machen. Anstatt für Sicherheit zu sorgen, werden sie trotz normkonformen Aufbaus selbst zu einer Gefahrenquelle. „Content Crasher“ habe ich dieses unglückliche Phänomen getauft, das unsere sonst so mühevoll gepflegten Inhalte leider zu oft völlig zerschießt.
Die vielen positiven Reaktionen auf den genannten Artikel sowie Gespräche in unseren tekom-Regionalgruppen zeigen, dass wir unter uns Redakteurinnen und Redakteuren ein hohes Problembewusstsein haben. Wir schütteln alle gemeinsam den Kopf über dieselben Negativbeispiele – und brandmarken sie als „wider den gesunden Menschenverstand“. Und trotzdem kommen viele Technischen Redaktionen nicht über die Warnhinweis-Inflation hinaus.
Abb. 02 So sieht es aus, wenn Anleitungen mit Warnhinweisen überfrachtet werden. Die Menge, Reihung und falsche Platzierung der Warnhinweise rauben der Anleitung jegliche Verständlichkeit. Dass Technische Redaktionen Anleitungen so gestalten, geht in vielen Fällen auf eine Fehlinterpretation von Normen und Richtlinien zurück. Und darauf, dass Technische Redaktionen nicht so arbeiten dürfen, wie sie eigentlich wollten und könnten. Quelle Johannes Dreikorn
Falsch verstandene Vorgaben
Beginnen wir mit der Ursachensuche. Ein erstes Missverständnis liegt im Bereich von Verordnungen, Normen und Richtlinien sowie der Annahme, dass die aktuelle Welt der offiziellen Vorgaben die Verwendung von möglichst vielen Warnhinweisen verlangt oder nahelegt. Um es gleich deutlich zu sagen: Dem ist nicht so!
Nehmen wir zum Beispiel die ANSI Z535.6. Sie hat hinsichtlich Warnhinweisen eine fast magische Anziehungskraft entwickelt, weil sie – als sie damals 2011 herauskam – die maximal konkret möglichen Anhaltspunkte für diese Form der Sicherheitsinformation bot. Aber viele scheinen etwas überlesen zu haben: Diese Norm fordert keine Warnhinweise. Sie macht lediglich Vorgaben und Empfehlungen zur Platzierung und Gestaltung, sollte man Warnhinweise benötigen. Aus ihr lässt sich nicht herauslesen, dass Warnhinweise das beste Mittel sind, um auf Seiten der Anwender und Anwenderinnen eines technischen Produkts für instruktive Sicherheit zu sorgen. Auch dass Warnhinweise möglichst auffällig und farbig sein müssten, entspringt nicht der ANSI Z535.6. Das widerspricht dem Trend in unseren Breitengraden nach „möglichst auffällig“, „möglichst mit Rand“, mit „möglichst vielen Symbolen“ komplett.
Woher kommt dann das hartnäckige Missverständnis, dass Anleitungen gezwungenermaßen mit Warnhinweisen bestückt werden müssen? Dafür sehe ich mehrere Ursachen. In Unternehmen ohne ausgebildete Technische Redakteure und Redakteurinnen gilt hinsichtlich Warnhinweisen oft das Hörensagen. Gut erinnere ich mich an das fast ungläubige Staunen eines für die Technische Dokumentation zuständigen Konstrukteurs, als ich ihm einen fast Warnhinweis-freien Entwurf einer Anleitung vorgelegt habe: „Ich wusste gar nicht, dass man das so machen darf. Ich dachte immer, wir müssten Anleitungen so ähnlich gestalten wie Beipackzettel für Arzneimittel.“ Nein – müssen Sie wirklich nicht!
Dann gibt es eine Tendenz, Begrifflichkeiten undifferenziert zu verwenden. Das ist gerade auch mit dem Begriff „Warnhinweis“ der Fall. Wer zum Beispiel die noch gültige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG konsultiert oder die Maschinenverordnung 2023/1230 als ihre Nachfolgerin, liest darin natürlich von „Warnhinweisen“. Gemeint sind damit aber Sicherheitsinformationen jeder Art, nicht speziell die auffällig gestalteten Hinweiskästen nach SAFE-Prinzip. Wer bei Konsultation und Interpretation der normativen Quellen unsauber oder selektiv arbeitet, kommt zu entsprechend schmalspurigen bis falschen Ergebnissen. Zumal Normen, leider auch unsere Doku-Normen, auf Ebene der Begrifflichkeiten oft schlecht abgestimmt sind. Man muss wirklich wissen, worum es thematisch-konzeptionell geht, um sie verstehen und anwenden zu können.
Nach meiner Erfahrung sind es gar nicht unbedingt die Technischen Redaktionen, die zu einer verkürzten Sicht neigen. Regelmäßig erlebe ich Rechtsabteilungen oder Compliance-Beauftragte als die Protagonisten. Sie wollen ihre juristische Verantwortung ihrem Unternehmen gegenüber wahrnehmen, kennen aber die ganze Bandbreite an offiziellen Vorgaben und branchenbewährten Gestaltungsmöglichkeiten nicht. Und setzen dann auf ein Mittel, das sie eindeutig erkennen und reglementieren können – Warnhinweise.
Halten wir als Zwischenfazit fest: Für Sie als Technische Redaktion ist es wichtig, sich aus der fälschlich normativ begründeten Fixierung auf auffällige Warnhinweise zu lösen. Wie Sie das schaffen, besprechen wir am Ende des Artikels.
Risikobeurteilung als Kopiervorlage
Wenden wir uns einem zweiten häufigen Missverständnis zu: Immer wieder bekomme ich Anleitungen in die Hände, in denen für jede konstruktiv nicht vermeidbare Restgefahr, die die Risikobeurteilung aufführt, ein Warnhinweis gesetzt ist. Der weit verbreitete Irrtum: Mit der Risikobeurteilung und unabhängig von den redaktionellen Standards gibt es ein fixes Inventar an Informationen, die wohl oder übel als auffällige Warnhinweise umgesetzt werden müssen. Und da gute Risikobeurteilungen Gefahren nach dem SAFE-Prinzip durchdeklinieren, scheinen auch die Inhalte für die Warnhinweise gegeben zu sein. In diesem Szenario braucht man die relevanten Teile der Risikobeurteilung einfach nur wortwörtlich in der Anleitung zu zitieren und alles schön in Warnhinweise zu packen – und alles ist gut …
„Alles ist gut?“ – leider nein. Natürlich ist die Risikobeurteilung eine der wichtigsten Quellen für Technische Redaktionen, wenn es um Sicherheitsinformationen geht. Und obwohl für viele Produkte normativ vorgeschrieben, wundere ich mich immer wieder darüber, wie oft es in Unternehmen gar keine, veraltete oder nur fast zutreffende Risikobeurteilungen gibt. Ihre hohe Relevanz für den Entwicklungsprozess erhebt die Risikobeurteilung aber nicht zur Meisterin über die Anleitungen. Eine Risikobeurteilung dokumentiert Gefährdungen und ihre Vermeidung. Eine Anleitung instruiert zum sicheren Gebrauch eines Produkts. Wir haben es mit zwei komplett verschiedenen Textsorten zu tun – mit unterschiedlichen Funktionen und Zielgruppen.
Recht und Pflicht der Redaktion ist es, die Informationen der Risikobeurteilung auf Basis redaktioneller Regeln in eine wirkungsvolle und sichere Instruktion zu bringen. Und Sie als Redaktion wählen die Mittel, die didaktisch am besten dazu geeignet sind. Das bedeutet zum Beispiel: Sie sind frei darin, wie Sie die Formulierungen in Ihren Warnhinweisen wählen – egal, welche Formulierungen Sie in der Risikobeurteilung vorfinden. Sie entscheiden, ob Sie auffällige SAFE-Warnhinweise verwenden oder auf Inline-Warnhinweise setzen, die sich in ihrer Kombination aus „auffällig und lesefreundlich“ besonders für Handlungspassagen empfehlen. Oder ob Sie vielleicht überhaupt keinen Warnhinweis setzen und die benötigte Sicherheit vorwiegend durch eine lückenlose und logische Handlungsabfolge sicherstellen.
Wir halten also fest: Es gibt auch aus dem Umfeld von normativ geregelten Unternehmensprozessen wie der Produktentwicklung keine Vorgaben, die Sie als Technische Redaktion zwingen, Warnhinweise als präferiertes Mittel für sicherheitsrelevante Informationen einzusetzen.
Blinde Befehlsempfängerin
Das nächste Missverständnis ist dem vorherigen recht ähnlich, deswegen möchte ich es nur kurz ansprechen: Es gibt immer noch Unternehmen, in denen die Technische Redaktion als Befehlsempfängerin gesehen wird. Die Konstruktion etwa gibt vor – die Technische Redaktion setzt um. Wenn die Konstruktion oder vielleicht sogar die Rechtsabteilung einen Warnhinweis verlangt, dann kommt dieser in die Anleitung, genau an die gewünschte Stelle.
Was auf den ersten Blick sehr praktisch und effizient aussehen mag: Eine Technische Redaktion mit so wenig Gestaltungshoheit ist ein echtes Alarmsignal. Das bedeutet, dass die falschen Leute im Unternehmen Entscheidungen treffen zu Themen, zu denen sie keine Expertise haben. Natürlich gibt es in Konstruktion und Rechtsabteilung Experten – für ihre Themen. Aber Anleitungen sind keine Vertragsdokumente und keine Entwicklerdokumentation. Anleitungen sind Informationsprodukte für die Zielgruppe der Anwenderinnen und Anwender eines technischen Produkts, für die ganz andere Regeln und Standards gelten. Und die ihren Beitrag zur Rechtssicherheit, um die es ja sehr oft geht, nicht leisten können, wenn sie nicht professionell konzipiert und erstellt werden.
Wir halten als Drittes fest: Sie als Technische Redaktion haben die Kompetenz und das Recht zu entscheiden, wie Sie Ihre Aufgabe wahrnehmen. Das gilt insbesondere für die Aufgabe, für eine sichere Anwenderinstruktion zu sorgen.
Unbedachte Wiederverwendung
Ein viertes und letztes Missverständnis liegt im falschen Einsatz der Lieblingsbeschäftigung von Content-Profis: Wiederverwendung. Und weil es mit dem Thema Redaktionssystem zu tun hat, möchte ich gleich zu Anfang deutlich sagen: nichts gegen Redaktionssysteme. Im Gegenteil, ich selbst begleite Unternehmen seit bald 25 Jahren bei der Einführung dieser heute fast unabdingbaren Werkzeuge.
Die Krux hinsichtlich der Warnhinweise ist der Umstand, dass bausteinorientierte Redaktionssysteme dazu einladen, bestehende Warnhinweise ungeprüft wiederzuverwenden. Schließlich braucht man, was bereits vorhanden ist, nicht neu schreiben, freigeben und übersetzen. Darin liegt gerade einer der großen Effizienzvorteile dieser Systeme.
So wunderbar praktisch dieser Mechanismus für viele Bausteine sein kann: Gerade bei so sensiblen Inhalten wie den Sicherheitsinformationen ist wahlloses, unreflektiertes Wiederverwenden keine gute Idee. Denn es lädt dazu ein, beim Erstellen der Inhalte von den vorhandenen Warnhinweisen und damit von den Gefahren auszugehen. Unsere Aufgabe als Redaktion ist es aber, Gefahren zu vermeiden, indem wir für eine sichere Instruktion sorgen. In einer sicheren Instruktion können durchaus Warnhinweise vorkommen. Aber nur als bewusst gewählte „Zutat“ – nicht als Hauptstilmittel. [1]
Wir halten ein Letztes fest: Einfach Warnhinweise wiederverwenden geht gar nicht! Gerade wenn Sie mit einem Redaktionssystem arbeiten, müssen Sie das redaktionelle Grundhandwerk besonders gut beherrschen: Sicherheit durch Verständlichkeit erzeugen.
Was also tun?
Die Antwort auf die Eingangsfrage: Tatsächlich kann und darf uns niemand zwingen, unsere Informationsprodukte mit Warnhinweisen zu übersäen, wenn wir als Technische Redaktion das nicht als richtig erachten. Lassen Sie uns zum Ende des Artikels einen Blick darauf werfen, wie Sie sich von dem Diktat der Warnhinweise befreien können (Tab. 01). Aus meiner Zusammenarbeit mit Unternehmen sehe ich dazu drei Schritte als wesentlich.
Tab. 01 Quelle Johannes Dreikorn
Als Erstes benötigen Sie ein durchgängiges Konzept für Sicherheitsinformationen. Dazu müssen Sie wie schon gesagt die aktuelle Normenwelt kennen. Allerdings dürfen Sie nicht bei einer abstrakten Normenkenntnis stehen bleiben: Sie müssen die Vorgaben und Gestaltungsspielräume so klar für sich erschließen, dass Sie in der täglichen Redaktionsarbeit ganz bewusst wählen und entscheiden können. Was das konkret heißt: Dazu habe ich im Abschnitt zur Risikobeurteilung bereits einiges geschrieben. Und mein Artikel zu den „Content Crashern“ gibt Ihnen ein Beispiel, wie Sie sich ganz praktisch an ein neues Konzept heranarbeiten können. [1]
Wenn Ihr Konzept steht, gilt es Überzeugungs- und Vernetzungsarbeit im Unternehmen zu leisten. Wer muss davon wissen, dass Sie die Sicherheitsinformationen in Zukunft anders gestalten wollen – weg von den unendlichen Warnhinweisen? Wen müssen Sie abholen und in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen? Je mehr Ihr Unternehmen von den oben geschilderten Missverständnissen geprägt war, desto wichtiger ist es, Protagonisten der „alten Welt“ nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern sie als Verbündete zu gewinnen. Hilfreich dafür sind gemeinsame Workshops, viele konkrete Beispiele und spürbare Vorteile Ihrer neuen Lösung. Ziel dieses zweiten Schrittes ist es, dass Sie ein „Ja“ von allen Beteiligten bekommen.
Wenn Ihr Konzept mit Schritt Zwei als Unternehmensstandard für die Technische Dokumentation anerkannt ist, können Sie sich um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit kümmern. Wir empfehlen unseren Kunden, das Konzept für die Sicherheitsinformationen schriftlich zu fixieren und den Redaktionsleitfaden um die neuen Regeln zu erweitern. Damit im redaktionellen Alltag keine Fragen offenbleiben.
Wie auch immer Sie es angehen wollen: Wenn Ihre Anleitungen unter „Warnhinweiseritis“ (eine Wortneuschöpfung, ich gebe es zu) leiden, dann gibt es nur eine Instanz, die das ändern kann und wird: nämlich Sie selbst in Ihrer Funktion als Technische Redakteurin und Technischer Redakteur, mit Ihrer spezifischen Kompetenz und im Verbund mit ausgereiften Branchenstandards. Und – was auch oft hilft – im Verbund mit unternehmensexterner Expertise.
Links und Literatur zum Artikel
[1] Dreikorn, Johannes (2022): Warnhinweise als Sicherheitsrisiko. In: technische kommunikation, H. 3, S. 42–46. Oder: https://technischekommunikation.info/fachartikel/informationsentwicklung/warnhinweise-als-sicherheitsrisiko-1190/
[2] Sicherheitsinformationen mit Konzept: https://www.doctima.de/2023/03/sicherheitsinformationen-mit-konzept